Nachruf vom 24.09.2014 - Wolfgang Held ist tot
Ein Toleranter ist gegangen – der Schriftsteller → Wolfgang Held. Alt war er geworden, um den Tod zu begrüßen wie einen Freund. Eine Last war von ihm gefallen. Bis zu diesem Zeitpunkt konnte er seinen Leiden ein Schnippchen schlagen – denn er schrie sie raus in die Welt ein Leben lang durch sein Schreiben. Und – das Geschriebene fand weltweit große Aufmerksamkeit, weil es ein realistisches Bild vermittelte über die Machbarkeit und das Wertvolle des Miteinanders von Menschen unterschiedlicher Glaubensrichtungen.
Mit seinem Film “Einer trage des anderen Last” wurde Wolfgang Held 1989 als erster deutscher Drehbuchautor für den Europäischen Filmpreis nominiert. Der Film erlang weltweite Anerkennung. Eine ägyptische Zeitung beschrieb ihn als Plädoyer für Toleranz zwischen Palästinensern und Israelis.
Schlüsselerlebnis
Eine Geschichte fehlt mir noch in seinem Werk. Es ist die Geschichte seines Onkels Rudi, der gleichermaßen verfolgt war von Nazis und Stalinisten. Er lebte in einer Zeit, in der sich extreme Anschauungen und Grabenkämpfe quer durch Familien zogen – in einer Zeit des globalen Grauens – in einer Zeit des Verrats unter seinesgleichen. Als Vierzehnjähriger suchte Wolfgang Held im April 1945 im KZ Buchenwald verzweifelt seinen dort inhaftierten Onkel Rudi.
Wolfgang Held fand Leichenberge vor. Ein amerikanischer Soldat sprach zu ihm: “Da sind Tränen nicht genug, mein Junge.” Dieses Erlebnis war das Prägende für Wolfgang Held ein Leben lang. Vielleicht schreibe ich noch diese Geschichte von Rudi, seiner Familie und seiner Zeit. Es entspräche dem Wunsch von Wolfgang Held.
Aus Schmerz oder aus Freude
Ich konnte Wolfgang Held noch persönlich kennen lernen - viel zu spät, leider. Im Sommer 2013 besuchte ich ihn in seiner Wohnung in Weimar. Er stellte mir Fragen nach meinem Sein und spürte förmlich, was in meinem Kopf vorging. Und er spürte meine immer währende Unruhe und auch Qual beim Verarbeiten der Erkenntnisse über Geschichte, Gesellschaft und Menschen. Sein Gefühl sagte ihm, dass mir nur eine Wahl blieb – das Schreiben.
Es war die Wahl von Wolfgang Held – das Schreiben.
Sein großer Verstand war auch sein Fluch.
Dieser Verstand über die Existenz menschenunwürdiger, ja scheinbar gehirnloser Handlungen, über die Banalität des Bösen erzeugte bei ihm immer wiederkehrenden Schmerz und Qual. Dieser Schmerz, aber auch Freude waren der Grund für sein Schreiben. Dieses Schreiben war sein Ventil, Schmerz zu überwinden und zu verarbeiten.
Ein wahrer Mensch
Am Ende unseres Gesprächs in seiner Wohnung umarmte mich Wolfgang Held und sprach: “Warum haben wir uns nicht früher kennengelernt?” Es sei schade darum. Er sei sich sicher, dass aus unserer Bekanntschaft eine fruchtbare Freundschaft entstanden wäre. Mich machten seine Worte stolz. Sie machten mich aber auch traurig. Ich sah, dass uns diese Zeit nicht mehr vergönnt war. Das letzte Mal traf ich ihn im Sommer 2014, als er in einer Lesung sein letztes Buch mit dem Titel “Ich erinnere mich” vorstellte. Bodo Ramelow hielt die Laudatio.
Wolfgang Held – ein wahrer Mensch ist gegangen – ein Mann, der an eine mögliche Vernunftbegabung des Menschen glaubte – ein Beobachter seiner Zeit, der fest daran glaubte, dass Menschen in der Lage seien, ihre tierischen Instinkte abzulegen – ein Rastloser, der an den großen Nutzen von Pluralität glaubte - ein Optimist und Realist, der zutiefst an Menschlichkeit, der fest an die Koexistenz und das Wertvolle von Vielfalt im menschlichen Miteinander glaubte.
Seine Visionen gingen in Richtung einer Neuen Moderne - das Überlebte überwindend. Er ließ sich von Nichts und Niemand in eine Schublade stecken. Letzteres war vielleicht das Besondere an ihm.
Vergessen wir nicht sein Anliegen im Interesse der Wahrheit: “De omnibus dubitandum“ (deutsch: “An allem ist zu zweifeln”). Und bauen wir viele Leuchttürme für ein Leben als Menschen ohne Aggressionen und Extremismus bei Achtung des Mitmenschen – getreu dem Film und Buch von Wolfgang Held ↗“Einer trage des anderen Last“.
W. Kiessling (Alias: Wolle Ing), 24.08.2014
Zitate von Wolfgang Held
Es gibt nur zwei Gründe zu schreien oder zu schreiben: aus Schmerz oder aus Freude (18.01.1976).
Fanatismus bringt einen Hühnerfreund zuweilen soweit, dass er selbst die Extremente des Federviehs als Qualitätseier gelten lässt (03.01.1980).
Was viele Leute als Interessen des Volkes bezeichnen, stellt sich bei näherer Betrachtung als blanker Egoismus heraus. Das Wort Volk ist im Munde solcher Kreaturen lediglich ein Synonym für die eigene Person (30.11.1980).
Alle tatsächlich wertvollen Erfahrungen meines Lebens beruhen darauf, dass ich die meisten Ratschläge und Warnungen missachtete (07.01.1985).
Diesen Beitrag veröffentlichte ich am 24.09.2014 unter meiner Domain www.untersuhl.info (UiZ - Untersuhler Internet-Zeitung 01.08.2002 bis 28.10.2016 - siehe ↗ Screenshot). Nach Schließung der UiZ übernahm ich den Beitrag auf diese neue Website.