Dr. Claus Bernhardt (Parkstr. 16, 09599 Freiberg) sandte mir im Sommer 2012 seinen nachfolgenden Aufsatz zur Geschichte Untersuhls. Seit dem 11.08.2012 veröffentlichte ich den Beitrag unter meiner Domain www.untersuhl.info (UiZ - Untersuhler Internet-Zeitung 01.08.2002 bis 28.10.2016 - siehe ↗ Screenshot). Nach Schließung der UiZ übernahm ich den Gastbeitrag mit weiteren Artikeln auf diese neue Website.
Ich bedanke mich bei Dr. Bernhardt für seine freundliche und nicht selbstverständliche Zuarbeit im Sinne der Erhaltung historischer Zeugnisse.
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C. Bernhardt
Sula – Nidernsula – Untersuhl
Ein Beitrag zur frühen Geschichte von Untersuhl
Dorfnamen mit dem Wortteil Suhl sind in Deutschland weit verbreitet. In der Region um Gerstungen gibt es gleich 4 davon: Marksuhl, Wünschensuhl, Untersuhl, Obersuhl. Auch 2 Bäche mit diesem Namen findet man hier, sie münden beide bei Berka/W. in die Werra, der eine rechts, der andere links.
Eine entsprechende Anfrage beim Institut für Germanistische Sprachwissenschaft der FSU Jena ergab: Namen mit dem Bestandteil „Suhl“ gehen zurück auf althochdeutsch sol, sul (= sumpfige Stelle, (Wild)suhle, Lache), mittelhochdeutsch sol, söl (= Kotlache, worin sich das Wild zu wälzen pflegt). Hierzu stellt sich auch mittelhochdeutsch sul, sol (= Salzwasser, Brühe). Diese Namen beziehen sich alle auf sumpfigen Boden [11].
Schon seit je hat die Frage interessiert, wie sich die geschichtliche Überlieferung vor allem bei den nahe beieinander liegenden Dörfern Untersuhl und Obersuhl darstellt. Hat man sie früher überhaupt unterschieden und wenn ja, wie und ab wann, oder gibt andererseits der Kontext der Erwähnungen genügend Hinweise auf eine sichere Zuordnung zu den heutigen Dorfnamen. Zu diesen Fragen sollen im Folgenden klarstellende Antworten versucht werden.*
1. Urkundenlage
Die erste bekannte Urkunde mit dem Namensteil „Sul“ im Ortsnamen bezieht sich auf eine Schenkung des Kaisers Otto II. an das Kloster St. Johannes des Täufers und St. Cäcilia zu Radesdorf (heute Raßdorf). Vermacht wurden dem Kloster einige Dörfer, darunter eines mit Namen Sulaho/Sulaha (= Suhlwasser). Die Urkunde befindet sich im HStA Marburg und steht mit dem Datum 21.5.977 als Regest Nr.487 bei Dobenecker [5]. Dieser hatte schon 1896 erkannt, dass die Urkunde eine Fälschung bzw. eine Niederschrift aus dem 11. Jahrhundert ist, die beurkundeten Vorgänge aber sehr wahrscheinlich doch wie beschrieben stattgefunden haben.
Auf der Basis dieser Urkunde veranstaltete der hessische Ort Obersuhl im Jahre 1977 die 1000-Jahrfeier seiner Ersterwähnung, ohne jedoch den historischen Bezug auf das Dorf zweifelsfrei belegt zu haben [6]. In der neueren Chronik der Großgemeinde Wildeck von 1991, zu der Obersuhl seit 1971 gehört, wird diese Zuordnung nunmehr als unsicher beschrieben und es werden Zweifel eingeräumt. Diese Zweifel gelten natürlich im selben Maße auch für Untersuhl. Die Schlussfolgerung lautet eindeutig: Aus dieser Urkunde können beide Dörfer gerechterweise keinen Exklusiv-Anspruch auf Erstnennung für sich ableiten.
Die nächst jüngere Urkunde stammt vom 27.6.1261 und beschreibt, dass Heinrich, Edler von Frankenstein, dem Kloster Frauensee 18 ½ Hufen Land verpfändet hat, davon „in Sula 8 mansus“ (Urkunde Nr. 50 im Urkundenbuch des Klosters Frauensee [7]). Kahl [9] bringt diese Mitteilung ohne nähere Erläuterung mit Untersuhl in Verbindung, nennt sie sogar die Ersterwähnungsurkunde des Dorfes, was bei der geschilderten unsicheren Namenslage keine weitere Verbreitung finden sollte. Für Obersuhl wird in [9] gar erst das Reformationsjahr 1517 als Erstnennung angegeben, und zwar mit Verweis auf eine Chronik der Stadt Suhl von 1846/47. Die obige Schlußfolgerung muss also auch hier gelten.
Im genannten Frauenseer Urkundenbuch [7] findet man zwei weitere Urkunden, die einen identischen Sachverhalt beschreiben: Die eine stammt aus dem Jahre 1280 (Nr. 59) in deutscher, die andere aus dem Jahre 1284 (Nr. 63) in lateinischer Sprache: Darin übereignet Landgraf Albrecht von Thüringen den Haferzins von der Vogtei Gospenroda, den Heinrich von Frankenstein dem Kloster Frauensee geschenkt hat, an das Kloster und befreit die Leute dieses Klosters in den „Vogteien zue Sula und Bercka“ von allen Forderungen. Mit der Vogtei zu Sula, so der Autor in seiner zusammenfassenden Einleitung, sei vermutlich Untersuhl gemeint, wo es wahrscheinlich „vogthaftige Güter“ gegeben habe. Eine Begründung dafür, das es im Gegenzug in Obersuhl keine Vogtei gegeben hat, liefert er indessen nicht. Wenigstens kann man wohl die rechtsseitigen Dörfer mit –suhl im Namen als Kandidaten für die im Frauenseer Urkundenbuch [7] genannten eindeutig ausschließen.
Die allererste Urkunde, die sich eindeutig und präzise auf das heutige Untersuhl bezieht, stammt aus dem Jahre 1397 (s. Bild 1):
Hierbei handelt es sich um eine Aufstellung aller Lehen, die das Kloster Fulda an die Familie von Hornsberg vergeben hat. Der relevante Abschnitt 161g ist der vorletzte in der Abbildung, der Text lautet:
JT[Item] Engelhard und Hans von Hornsberg, Gebruder, czu Gerstungen 2 czinßlehen und 1 vorwerg und 2 Hindersidel, czu Dangkmarshußen 2 vorwerg und 9 Hindersidel, und czu Sula eyn vorwerg und 2 Hindersidel, und czu Nidernsula eyn mulen, und czu Nuestete eynhalb vorwerg und 2 Hindersidel….
vorwerg = Vorwerk = Gut, Hindersidel = Hintersiedler = Bauer ohne eigenes Land
Dieser Hinweis auf den Besitz einer Mühle in Nidernsula darf unbenommen als die unzweifelhafte ...
... Erstnennung von Untersuhl im Jahre 1397 ...
... angesehen werden. Wenn bis 2022 keine anderen Erkenntnisse gewonnen werden, wäre das also das Jahr der 625-Jahrfeier.
Die gleichzeitige Nennung von Sula und Nidernsula in [8] nährt indessen die Vermutung, dass auch die anderen Nennungen von Sula in dieser Zeit nicht auf Untersuhl zutreffen könnten. Erwiesen ist es jedoch nicht.
Schließlich bietet das Urkundenbuch von Frauensee [7] noch eine weitere Erwähnung des Ortes Sula. Die Urkunde Nr. 291 von 1442 ist eine Zusammenstellung der Jahresausgaben des Klosters, darin steht ein Posten:
Item anderthalb sex. gr. vor byer kaufte Schrone zcu Vache Martin, das man den von Sula unde andderen lüden dii das buweholtz fürten zcu tringken gab.
Vermutlich handelt es sich hier um ein Trinkgeld für Bauholz-Flößer aus „Sula“, was die Entscheidung für Untersuhl oder Obersuhl einmal mehr nicht nennenswert erleichtert.
2. Darstellung auf Landkarten
Um das Jahr 1700 beauftragte der Landgraf von Hessen-Cassel seinen Beamten Johann Georg Schleenstein, seine Landgrafschaft kartografisch aufzunehmen. Das Ergebnis waren 20 Karten, die in den Jahren zwischen 1705 und 1710 gedruckt wurden (1985 als Faksimiledruck herausgegeben). Von topografischer Detailtreue kann keine Rede sein, selbst wenn man landschaftliche Veränderungen in den letzten 300 Jahren berücksichtigt. Das Kartenwerk wurde wohl auch in erster Linie zu dem Zweck angefertigt, die genauen Landesgrenzen zwischen der hessischen Landgrafschaft und den Thüringer Gebieten zu dokumentieren. Dabei ist auch in der Tat der Karthograf sehr genau vorgegangen, wie man an anderer Stelle (z.B. bei Sallmannshausen [1]) im Vergleich mit dem heutigen hessisch/thüringischen Grenzverlauf nachprüfen kann.
Ob man das auch hier voraussetzen darf, ist fraglich, da die deutliche Absicht durchschimmert, nicht nur den Landeszwickel von Obersuhl zu dokumentieren, sondern gerade auch den direkten Zugang des hessischen Landgrafen zum Werraübergang (Brücke) bei Berka (s. Bild 2). Die etwa gut 100 Jahre ältere Mercatorkarte von 1592 [12] ist im Wesentlichen identisch mit den topografischen Details des gezeigten Ausschnitts von Bild 1, in ihr ist aber der Grenzverlauf nicht eingetragen.
In der Beschreibung des Gerstunger Amtes von 1700 [4] liest man, dass es mit Hessen in einigen Fällen Grenzstreitigkeiten gegeben habe. Sehr wahrscheinlich sind vor allem zwei Stellen gemeint: 1. dieser genannte Zipfel hier vor Berka und 2. die Grenzziehung nahe der Aumühle, die ebenfalls der Werra sehr nahekommt. Die Differenzen – so die Amtsbeschreibung – seien in den in gewissen Abständen durchgeführten „Conferencen“ nicht alle bereinigt worden, so auch noch bei der Konferez von 1698, als es speziell um die strittige Grenze nahe der Aumühle ging. Die in der Amtsbeschreibung angegebene Grenzziehung ist heute praktisch nicht mehr zu rekonstruieren, da sie sich häufig auf private Grundstücksgrenzen, Baumbestände u.ä. bezieht.
Der Werraübergang bei Berka war von großer wirtschaftlicher Bedeutung, weil hier zwei wichtige Handelsstraßen zusammenkamen: die sogenannte Kurze Hessen (von Frankfurt nach Leipzig), die innerhalb des engen Korridors nach „Obernsula“ führte, und die sogen. Weinstraße (von Nürnberg nach Göttingen), die über „Niedernsula“ verlief. Beide nutzten die Werrabrücke bei Berka und erhielten auch von der jeweiligen staatlichen Stelle entsprechende militärische Absicherung. Darauf deutet in Obersuhl der Straßenname „Auf der Wache“ und in Untersuhl die befestigte Rundkirche. Von dort aus wurde den Handelzügen auch Geleitschutz gegeben, was eine gute Einnahmequelle war. So ist auch durchaus vorstellbar, dass an diesen Orten Vogteien eingerichtet waren, die der Versorgung und dem Schutz der Wachmannschaften dienten.
Werramühlen sind in der Karte (Bild 2) nicht eingezeichnet, dafür aber die zu Untersuhl gehörenden Mühlen an der „Weyer“ (heute Weihe): die Aumühle (kurz nach dem Zusammenfluß von Weihe und (linker) Suhl, die Weiße Mühle und die „Rode“(Roth-)Mühle; der Flurnamen „Rode Rain“ ist eingetragen, nicht aber die (spätere?) Roterainsmühle.
Untersuhl und die Aumühle lagen damals direkt am linken Werraufer; heute jedoch nicht mehr, im Gegensatz zu Berka auf der rechten Seite. Zwischen beiden Ortschaften vollführte die Werra einen großen Bogen, ihm folgten in späteren Darstellungen mehrere kleinere Mäander, die bis zur Ortsgrenze von Untersuhl heranreichten. Erst zwischen 1857 und 1872 wurde die Werra dort begradigt, wobei sich dabei auch die Einmündungen der beiden Suhl-Bäche veränderten.
Der von Schleenstein fixierte Grenzverlauf (Bild 2) wurde offensichtlich von Thüringer Seite etwas anders gesehen, wie die nachfolgende Karte, die das Amt Gerstungen zeigt. Sie wurde von Joh. Baptist Homann angefertigt und 1715 in Nürnberg gedruckt (Bild 3), ist also nur wenig jünger als die Schleenstein-Karte.
Hier ist der Obersuhler Zipfel ebenfalls deutlich dargestellt (gestrichelte Linie), er reicht aber nur bis zum Zusammenfluß der beiden Bäche Weihe und linke Suhl. Dadurch ist der Berkaer Werraübergang auf beiden Ufern Thüringisch, und zwar gehörte das linke Ufer zum Amt Gerstungen, das rechte zusammen mit dem Übergang zum Amt Hausbreitenbach. Letzteres stand allerdings damals noch (bis 1742) unter einer Doppelherrschaft mit Hessen. In einer über 200 Jahre älteren Beschreibung der Werraübergänge von 1512 (abgedruckt in [3]) heißt es in einer Aufzählung der Furten und Brücken der Werra von Gerstungen an flußaufwärts:
Weytter das Wasser auf bys gen Bercka ist kein furth, dan gegen den Flecken Bercka unter der brucken ist ein ungebrauchlich furth und alsbalde die bruck daran, gehört dem Amt Breytenbach [später Hausbreitenbach] zu und mag leydlich woll verwahrdt werdenn. Hiernach ein furth unter Dankmarshausen, darnach eine bruck daselbst dem Amte Gerstungen zustendig.
Exakt dieselben Grenzen zwischen Hessen und Thüringen wie in Bild 3 sind an dieser Stelle auch in zwei weiteren etwas jüngeren Karten von 1738 und 1791 eingezeichnet. Die zuletzt genannte stammt von dem österreichischen Kartografen F.J.J. von Reilly [10] und gibt den Zustand des Gerstunger Amtes von vor 1733 wieder, als Kleinensee und Süß noch dazugehörten.
Der nachfolgende Kartenausschnitt (Bild 4) stammt aus dem Feldoriginal der preußischen Landesaufnahme von 1857. Er zeigt sehr genau den alten Verlauf der Werra mit den vielen Mäandern in der Nähe von Untersuhl, aber auch bereits einen geradlinigen Stichgraben, der später das Flußbett der Werra bildet. Auch ist zu sehen, dass sich die kleine Werra nördlich von Berka (das ehemalige Unterwasser von zwei Mühlen oberhalb der Brücke) in einem Graben fortsetzt, der bis zur Werrabrücke bei Gerstungen verläuft. Die rechte Suhl bzw. die kleine Werra zeigt hier auf dieser Karte erstmals in der Nähe der Werramündung einen seltsam anmutenden Zick-Zack-Verlauf, der erst vor wenigen Jahren begradigt wurde.
15 Jahre später sind in dem Meßtischblatt von 1872 (Bild 5) die Werra-Mäander bei Untersuhl ganz verschwunden, und der Fluss hat bereits etwa sein heutiges begradigtes Aussehen. Die Entfernungen von Untersuhl und von der Aumühle zum Werraufer sind durch diese Begradigungsmaßnahme beträchtlich größer geworden. Einige der vormaligen Mäander sind als stehende Gewässer bis heute in der linksseitigen Werra-Aue erhalten (s. Bild 6 und 7). Außerdem sieht man die Lage der beiden Bahnhöfe zwischen Gerstungen und Untersuhl.
Um 1900 erfolgte der Bau einer Zweigbahn in das Kaligebiet bis nach Vacha. Man erkennt auf den neuzeitlichen Karten (Bild 6 und 7), wie der Verlauf der Bahnlinie genau die Landesgrenze zu Hessen umschlingt und so auf thüringischem Gebiet bleibt.
Schließlich zeigt Bild 7, dass nunmehr auch der Verlauf der rechten Suhl im Mündungsbereich zur Werra begradigt wurde.
Literatur
[1] | C. Bernhardt: Dorf- und Kirchengeschichte von Neustädt/Werra. 3.Aufl., Freiberg 2011 |
[2] | Principatus Isenacensis cum adjacentibus vicinorum Statuum Ditionibus exhibitus Iohanne Bapt. Homanno, Nurimbergae. 1716. Neudruck Bad Langensalza 1999 |
[3] | Heinrich Heß: Der Thüringer Wald in alten Zeiten. Wald- und Jagdbilder. Gotha 1898, Reprint Bad Langensalza 2003 |
[4] | D. Götzel: Gerstunger Amtbeschreibung. Auf ergangenen Fürstlich gnädigen Befehl gefertigt anno 1700. Das Original kann im Internet durchgeblättert werden unter: https://archive.thulb.uni-jena.de/hisbest/receive/HisBest_cbu_00011933 |
[5] | O. Dobenecker: Regesta diplomatica necnon epistolariae historiae thuringiae. Bd.1 (500 – 1152), Verlag G.Fischer, Jena 1896 |
[6] | Festschrift „1000 Jahre Obersuhl“, 1977 |
[7] | W. Küther: Urkundenbuch des Klosters Frauensee. Köln u. Graz 1961 |
[8] | Hessisches Staatsarchiv Marburg, Fuldaer Kopiar K 433, S.43, Nr.161g |
[9] | W. Kahl: Ersterwähnung Thüringer Städte und Dörfer. Ein Handbuch. 3.Aufl. Bad Langensalza 2005. |
[10] | F.J.J.von Reilly: Das Fürstentum Eisenach Nr.371, Karte von 1791 |
[11] | B. Ähnlich: Schriftl. Mitteilg. vom 9.8.2011, Inst.f.Germanist.Sprachwissenschaft, FSU Jena |
[12] | Hessisches Staatsarchiv Marburg, Mercator 1592, Sign. R II 28 |
2 Gedanken zu „Gastbeitrag: Geschichte Untersuhl“
Ich habe mit sehr großem Interesse diese Ausführungen gelesen. Da ich mich z.Z. mit den ehemaligen Mühlen im Suhltal beschäftige, habe ich folgende Anfrage: Können sie mir zum Suhltal und deren ehemaligen Mühlen Hinweise geben?
Mit freundlichen Grüßen
Edgar Mey