Den Rennsteigradweg - an einem Tag
Bericht und Fotogalerie von einer ungewöhnlichen Tour
14. Juni 2012 – habe die “Leidensgeschichte” Tour de Rennsteig hinter mir. Spaß beiseite – ich war gut vorbereitet, ging optimistisch an den Start und freute mich seit langem auf das Vorhaben.
Mein Ziel - den → Radweg über den Rennsteig auf seiner gesamten Strecke über 199 km und ca. 3000 Höhenmetern mit Trecking-Fahrrad an einem Tag zu absolvieren – von Blankenstein an der Saale bis Hörschel an der Werra.
Was kaum Jemand für möglich hielt, ich habe das Vorhaben umgesetzt - und war am Ende selbst erstaunt, es geschafft zu haben.
Der Weg ist das Ziel …
Mitfahrer fand ich leider nicht. Das Ziel schien Anderen zu hoch. Ich war dann schließlich mit einer Kamera allein unterwegs mit meinem gut gedämpften Tracking-Rad Marke “Diamant” mit → Speedhub-Rohloff-Schaltung, dem Vorhaben gerechter Bereifung, Ersatzschläuchen, nötigem Werkzeug, sorgsam ausgewählter Ernährung, viel Wasser und entsprechender Bekleidung.
Nachts 2:30 Uhr startete ich am Rennsteig-Beginn in Blankenstein an der Saale. Ich überquerte den kompletten Rennsteig mit zumeist Mountainbike-Anspruch. Am gleichen Tag abends gegen 22:30 Uhr erreichte ich die Hörschel an der Werra.
Gesundheitlich – Alles o.K. – bis auf schwer geprellte Hüften und geschundene Knie. Aus einem Riss in der Wade, lief immer noch mein dünnes Blut.
Mindestens zwei Dutzend Mal war ich unterwegs kurz vorm Handtuch-Werfen.
Ich bin aber geprägt: “Soldaten sterben nicht, sie gehen dahin”. Die ersten sechs Stunden gab es Dauerregen bei Temperaturen um die fünf bis sieben Grad. Die zweite Hälfte waren zumeist schwer befahrbare Höhenwege.
Der eigentliche Anspruch – Durchhalten. Meine Erfahrung aus der Geschichte etwas scherzhaft formuliert: “Bleibe ein guter Mensch, um im Jenseits nicht die Hölle erfahren zu müssen.” 😉
Die Herausforderung
Um es gleich vorweg zu nehmen: Untrainierten rate ich davon ab, diesen Radweg zu absolvieren. Diverse Internet-Fachseiten zum Thema Radwandern belegen Anderes. Dieser Weg sei auch durch wenig Trainierte in mehreren Etappen zu bewältigen. Diese Aussage hat wohl mehr Promotiongründe. Es mag so stimmen – je nach Blickwinkel.
Ein Großteil des Weges ist von einem ständigen Auf und Ab, steilen, langen Anstiegen und schwierigen Forstwegen gekennzeichnet. Wer schon mal einige hundert Höhenmeter am Stück mit Fahrrad bezwungen hat, kennt den Anspruch. Der Rennsteigradweg hat einen Gesamtanstieg von knapp dreitausend Höhenmetern.
Der Weg ist immer wieder durch Forstrücke-Maschinen kilometerlang aufgewühlt oder in anderen Abschnitten notdürftig mit groben Schotter begradigt. So gibt es auf langen Abschnitten immer wieder einen regelrechten kraft- und zeitraubenden Balanceakt. Bergrunter mal die Beine hochnehmen geht i.d.R. nicht.
Das Prädikat “Radwanderweg” ist wohl irreführend und sollte eher den Namen “Mountainbike-Teststrecke” bekommen.
Ich trainierte fast zwei Jahre dafür, ...
... dem Anspruch so einer Strecke gerecht werden zu können. Jedes Wochenende zwei Radtouren – jede zwischen dreißig und achtzig Kilometer straff und nonstop gefahren – auch im Winter bei minus zehn Grad. Der Weg bis zum Ziel war etwas ungewöhnlich. Dieser ganzen Geschichte habe ich wohl mein Leben zu verdanken.
Wie Alles begann …
Einige Monate vor meinem Fünfzigsten nahm ich zum Anlass, über die vergangenen Jahrzehnte mehr als gewöhnlich nachzudenken, aber auch in meinen Körper hinein zu hören. Eigentlich hatte ich keinen Grund zum Klagen. Nur – ich wollte mir neue Ziele stecken.
Gleichzeitig merkte ich, dass die körperliche Fitness “auf dem absteigenden Ast” war. In meiner Jugend im regelmäßigen leistungssportlichem Training, hatte ich die folgenden Jahrzehnte mehr gearbeitet, als mich auch zu regenerieren. Das Zeitproblem war immer das entscheidende Argument, einen sportlichen Ausgleich abzulehnen. Außerdem bin ich mit einem Grad der Schädigungsfolgen (GdS) i.H.v. 40 (Berufsunfälle in früheren Armeezeiten) nicht ganz ohne Behinderung.
Also sagte ich mir, lass Dich mal checken und beginne gleichzeitig einen regelmäßigen sportlichen Ausgleich. Das war vor fast zwei Jahren. Das Ergebnis: Mein neues Fahrrad verriet mir gerade noch rechtzeitig unter chronischer Last regelmäßig ein Brennen in der Brustgegend.
Mein Hausarzt riet mir zum Kardiologen. Im Ergebnis holte ich mir 12 Monate vor der Rennsteigtour im Urlaub einen Herz-Stent ab, um ein fast verschlossenes Herzhauptkranzgefäß wieder zu öffnen.
Der Plan
Während mir der Kardiologe den Stent in das Herz schob, grübelte ich über meine Zukunft, weitere Vorhaben und das Energy-Web nach. Am zweiten Tag danach spulte ich wieder eine Dreißig-Kilometer-Strecke ab. Auf dem OP-Tisch hatte ich beschlossen, den gesamten Rennsteig-Radweg im Juni 2012 an einem Tag zu absolvieren.
Befreit konnte ich wieder Fahrrad fahren und für mein Ziel trainieren.
Und – so ging es weiter bergauf. Das war aber noch nicht Alles. 4 Monate vor der Rennsteig-Tour stand eine Herz-Nachuntersuchung an. Die Ärztin war begeistert von meinen überdurchschnittlich guten Werten unter dem Leistungs-EKG.
Mein Schutzengel sagte ihr aber, etwas mehr, als nur standardmäßig das Herz zu untersuchen. So wurde ehern zufällig auch ein Wermutstropfen festgestellt. In meinem Kopf war die Arteria Carotis Interna auch fast vollständig verstopft und gleich daneben drohte ein hühnereigroßes Aneurysma jederzeit zu zerplatzen.
Jetzt ging es nicht mit einer Kurzbehandlung ab. Am 27. Februar gab es einen neuen, dritten Geburtstag für mich. Drei Wochen später ging mein Training weiter.
Aber eigentlich ist damit die Vorgeschichte noch nicht zu Ende. Egal – mein Leitspruch: “Neugierde ist dein Wegweiser im Dschungel des Unwissens.” Erfahrungen, neue Ideen und Wege gehen einher für Denjenigen, der sein Leben gestaltet. Meine Grundeinstellung schon immer – Beweisen muss ich Niemandem etwas – nur mir selbst.
Ein viertel Jahr später …
... im Juni 2012 - habe ich organisatorisch Alles bedacht? Körperlich fühle ich mich gut vorbereitet.
Die Nächte sind kurz. In einer Pension am Rennsteig-Start (oder -Ende?) habe ich wenige Stunden geschlafen.
Die Nacht ist tiefschwarz, als ich im bitterkalten Regen starte. Es ist nachts gegen 1:45 Uhr - nur 5 Grad über Null. Der Radweg ist nicht beleuchtet. Nur gut, dass ich eine besonders leistungsstarke Fahrradleuchte habe.
Die Tour beginnt mit einem Schönheitsfehler. Irgendwie spielte das GPS nicht mit. Statt den Rennsteig-Radweg fahre ich erstmal in Richtung Süden den Saale-Radweg entlang in die falsche Richtung. Nach wenigen Kilometern merke ich es und kehre fluchend um.
Gegen 2:30 Uhr gibt es einen Neustart. Nun geht es in Richtung Westen auf dem richtigen Weg. Auf den ersten zehn Kilometern geht es immer stetig bergauf.
Im Gepäck habe ich einen Stein von der Saale bei Blankenstein. “Ich will es schaffen – an diesem Tag.” Das ist das Prägnante, was mir auf der schwierigen Route von der Saale zur Werra über die Rennsteighöhen ständig durch den Kopf geht.
Ach ja – die Vorgabe des Kardiologen soll ich auch einhalten – den Puls nicht über 160. Das überwachen mein Outdoor-Navi und Fahrrad-Computer. Übrigens, der Rennsteig verläuft auf fünfzehn Kilometern auch durch den Frankenwald im südlich angrenzenden Bundesland.
Zwischendurch paar Fotos.
“Tortur de Rennsteig”
Die geplanten Pausen habe ich schon lang nicht mehr eingehalten. Ab und an halte ich zu einer kurzen Erholungsphase – wenn es passt. Auf der Strecke begegnen mir außer Forstarbeitern allenfalls ein halbes Dutzend Rennsteigwanderer. Liegt das am Wetter oder dem EM-Spiel der Deutschen am Vortag?
Dauerregen, Kälte, Ausgezehrtsein und Müdigkeit setzen mir extrem zu. Kalte Nässe im ersten Drittel ließ mich schon am Anfang zweifeln.
Zum Ende hin fällt mir selbst das Absteigen schwer. Stürze bleiben nicht aus – Aufstehen, weiter. Zum Glück halten die in der Vorbereitung sorgfältig ausgewählten Reifen. Sie hielten tatsächlich, was der Hersteller versprach: “Unplattbar.”
Der 2. Teil wird zur zur unvergesslichen Tortur.
Es ist der Abschnitt zwischen Oberhof und Brotterode über den Inselsberg. Er “glänzt” größtenteils mit sehr schlechter Befahrbarkeit. “Bloß jetzt nicht nochmal verfahren”, geht es mir durch den Kopf.
An’s Aufhören will ich nicht glauben. Ein chinesisches Sprichwort sagt: “Der Weg ist das Ziel”. Ich meine ergänzend: “Habe Ehrfurcht vor der Herausforderung und gehe deinen gewählten Weg.”
Auf den letzten Kilometer kann ich wie wundersam Kraftreserven entfalten.
Spät abends gegen 22:30 Uhr am vierzehnten Juni 2012 nach zwanzig Stunden Tour habe ich das Vorhaben umgesetzt. Meine Tochter wusste, dass ich es schaffe. Der Stein aus der Saale landet mit einem Wurf in der Werra bei Hörschel.
Was wird mein nächstes Ziel jenseits der Zweiundfünfzig?
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Rennsteigradweg - Touren-/Trackingdetails, Höhenprofil
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Links zum Radweg über den Rennsteig
- www.rennsteig.net
- www.radreise-wiki.de/Rennsteig/
- die Route unter Goggle-Maps
- ADFC-Bericht
- www.frankenwald.bayern-online.de/die-region/aktiv/sport/wandern-wanderwege/rennsteig/
Foto-Galerie
62 Momentaufnahmen von der Tour
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- Bildautor: Wolle Ing - Persönlichkeitsrecht & Überlassung » Foto-Service
3 Gedanken zu „Rennsteigradweg“
Super Idee - hab sie aufgegriffen und am 15.8.2020 in Angriff genommen - und auch geschafft.