Grenz­weg Ger­s­t­un­ger Forst

Grenzweg Gerstunger Forst, indirekte Grenzmarkierung auf dem nach Jahrhunderten i.d.R. immer noch gut begehbaren gemeinsamen Weg
Freunde - auf dem Gemeinsamen Weg
Freun­de - auf dem Gemein­sa­men Weg
Am Grenz­weg im Ger­s­t­un­ger Forst

Der → Ger­s­t­un­ger Forst - ein gro­ßes, gebir­gi­ges, zusam­men­hän­gen­des  → Forst­ge­biet, das in der Zeit der deut­schen Tei­lung voll­stän­dig zwi­schen den Grenz­zäu­nen lag. Im nörd­li­chen Teil wur­de es über 40 Jah­re so gut wie gar nicht und im Süden auch nur wenig bewirt­schaf­tet. Auf­grund der Abge­schie­den­heit ent­wi­ckel­te sich hier eine ein­ma­li­ge und unge­stör­te Flo­ra sowie Fau­na.

Die­ser Forst lud uns zu Pfings­ten 2020 ein. Wir bega­ben uns auf eine Wan­de­rung ent­lang des → Grü­nen Band Deutsch­lands. Es war auch eine Wan­de­rung über ein für mich ganz per­sön­lich his­to­ri­sches Band.

Am Grü­nen Band im Ger­s­t­un­ger Forst - Quel­le: Bild Map­car­ta - https://mapcarta.com/de/N2619923921

Das besag­te Band kann man aus der Vogel­per­spek­ti­ve bei genau­em Hin­se­hen tat­säch­lich als sol­ches wahr­neh­men. Bis auf den Anstieg hin­auf zum 379 Meter hoch gele­ge­nen → Kirch­wald­s­kopf und eini­ge hun­dert Meter Unter­bre­chung im Bereich des Blan­ken­ba­cher Tals durch­zieht den Forst haar­ge­nau direkt auf der alten his­to­ri­schen Grenz­li­nie ein gemein­sa­mer Weg.

Wie über­all auf der Welt ist eine Grenz­li­nie mar­kiert. I.d.R. sor­gen Grenz­stei­ne für eine Grenz­mar­kie­rung. Der Grenz­ver­lauf geht abso­lut genau von Stein zu Stein. Der kor­rek­te Stand der Grenz­stei­ne ist ele­men­ta­re Vor­aus­set­zung zur Kenn­zeich­nung der → ter­ri­to­ria­len Inte­gri­tät und Sou­ve­rä­ni­tät eines Lan­des. Daher wird die­ser Stand auch regel­mä­ßig an vor­han­de­nen Gren­zen über­prüft und bei Bedarf wie­der sicher­ge­stellt - über­all auf der Welt.

Um den Lauf des Weges nicht zu stö­ren, fin­den wir im Ger­s­t­un­ger Forst eine sel­te­ne Form der Grenz­mar­kie­rung vor - die indi­rek­te Mar­kie­rung. Es ste­hen sich an jedem Grenz­punkt - der auf dem gemein­sa­men Weg die Weg­mit­te bil­det, zwei Grenz­stei­ne jeweils am Weges­rand gegen­über. Die ange­nom­me­ne Mit­te stellt den Grenz­punkt dar. Vom ange­nom­me­nen Grenz­punkt zum nächs­ten ange­nom­me­nen Grenz­punkt ver­läuft also die Grenz­li­nie, ohne ein Bege­hen des gemein­sa­men Weges ein­zu­schrän­ken.

Auf die­se Art und Wei­se konn­te ich in den 80gern (als → Gren­zer zwi­schen 2 deut­schen Staa­ten und zwi­schen 2 Wel­ten) regel­mä­ßig den Weg bege­hen und den kor­rek­ten Stand der Grenz­stei­ne über­prü­fen. Da es ein gemein­sa­mer Weg ist, wur­de man dabei gele­gent­lich von Bun­des­grenz­schüt­zern oder US-Soldaten still und freund­lichst Sei­te an Sei­te auf dem glei­chen Weg beglei­tet, ohne dass man ein Wort wech­sel­te.

Viel­leicht neh­me ich die­se Zei­len und  auch mei­ne Erfah­run­gen zum The­ma Gren­zen (auch an pol­ni­schen, rus­si­schen, ame­ri­ka­ni­schen und korea­ni­schen Gren­zen) mal gele­gent­lich zum Anlass, ein Buch - viel­leicht auch ein nach­denk­li­ches oder pole­mi­sches - zum The­ma Gren­zen zu schrei­ben.

Übri­gens - die in den Fotos bei­gefüg­te Hand­zeich­nung, die ich 1989 erstell­te, hat eine eige­ne Geschich­te.

Der gemein­sa­me Weg

Ja, der alte, his­to­ri­sche gemein­sa­me Weg im Ger­s­t­un­ger Forst - ich fin­de es erstaun­lich, wie er sich über Jahr­hun­der­te erhal­ten hat, ohne dass Men­schen ihn groß­ar­tig von der Natur “befrei­ten”. Wahr­schein­lich liegt es auch dar­an, dass das Wild bei sei­nen Zügen durch das gro­ße Forst­ge­biet den Weg eben­falls als Pfad benutzt. Oft zieht sich der belaub­te oder mit Nadeln bedeck­te Weg wie eine Hoh­le durch den Misch­wald und über die Ber­ge.

Zeitzeugen
Zeit­zeu­gen der Tei­lung - Bild­au­tor: Wol­le Ing

Der gemein­sa­me Weg ist zugleich Zei­chen der ehe­ma­li­gen → Deut­schen Tei­lung. Öst­lich vom gemein­sa­men Weg stand über fast 40 Jah­re ein Grenz­zaun - in den letz­ten Jahr­zehn­ten fast 3 Meter hoch. Zwi­schen Grenz­zaun und gemein­sa­men Weg stan­den als sicht­ba­res Zei­chen für eine Staats­gren­ze → DDR-Grenzsäulen, mit für Besu­cher oft begehr­ten guss­ei­ser­nen, fest ver­bau­ten Hoheits­zei­chen der DDR. Irgend­wie mit Brech­stan­gen gelang es manch­mal einem “Schatz­su­cher”, so ein Zei­chen zer­stör­ter­wei­se zu ent­fer­nen. Da bau­te ich halt ein neu­es dar­an. Die hat­te ich immer dabei.

Die­ser Weg hat aber eine viel län­ge­re Geschich­te. Von 1741 bis 1918 bestand die Mon­ar­chie des Groß­her­zog­tums Sachsen-Weimar-Eisenach (Lan­des­haupt­stadt Wei­mar). Das Ter­ri­to­ri­um war ziem­lich ver­wor­ren und zer­streut, so wie es in der deut­schen Klein­staa­te­rei damals üblich war. Das Haupt­ter­ri­to­ri­um lag um Wei­mar. Wei­te­re Gebie­te lagen abge­grenzt süd­öst­lich von Wei­mar und eben eini­ge Gebie­te um Eisen­ach in Rich­tung Mei­ni­gen sowie west­lich davon bis an den Rand der Pro­vinz Hessen-Nassau.

im Jahr 2012 - Bild­au­tor: Wol­le Ing

Die alten, damals gesetz­ten → Grenz­stei­ne sind zum Groß­teil heu­te noch vor­han­den und bil­de­ten 1:1 den Grenz­ver­lauf im mit­tel­deut­schen Raum ent­lang der Wer­ra sowie west­lich von Eisen­ach. Die his­to­ri­schen Grenz­stei­ne haben oft ober­halb 2 Stri­che. Die Stri­che zei­gen jeweils in Rich­tung des nächs­ten Steins. Das ist lei­der nicht so bei Grenz­stei­nen neu­er Bau­art, die alte zer­fal­le­ne Stei­ne ablös­ten. Die neu­en, in der Grund­flä­che qua­dra­ti­schen Stei­ne sind aus Gra­nit, nicht so wuch­tig und haben oben ein Kreuz. Das Kreuz erlaubt kei­ne Aus­sa­ge zum wei­te­ren Grenz­ver­lauf.

Ein Stück bil­de­te übri­gens die Wer­ra die alte deutsch-deutsche Grenz­li­nie. Sie war als Grenz­fluss eben­falls indi­rekt mar­kiert. Die Mit­te des Flus­ses bil­de­te dort die Grenz­li­nie. Übri­gens - zwi­schen Wart­burg und För­tha gab es auch ein Bruch­stück Ter­ri­to­ri­um von Her­zog­tum Sachsen-Meiningen. Da soll­ten auch noch mit­ten im Wald Grenz­stei­ne auf­zu­trei­ben sein.

Zurück zum Ger­s­t­un­ger Forst. Auf den ent­lang des gemein­sa­men Weges gefun­de­nen Grenz­stei­nen ist oft noch das Wap­pen des Groß­her­zog­tums Sachsen-Weimar-Eisenach sicht­bar - oft nur rudi­men­tär. Das Wap­pen beinhal­tet im Zen­trum ein Zei­chen mit hori­zon­ta­lem Bal­ken und dia­go­na­lem Strich - seit jeher das eigent­li­che Wap­pen von Sach­sen. Auf der ande­ren Sei­te der Stei­ne ste­hen ver­schie­dent­lich fort­lau­fen­de Num­mern und Jah­res­zah­len.

Am Grü­nen Band

Pfings­ten 2020 star­te­ten wir (1 Wan­de­rin - mei­ne Toch­ter - und 3 befreun­de­te Wan­de­rer) nun unse­re Erkun­dungs­tour ent­lang des gemein­sa­men Weges. Wir began­nen unse­re Wan­de­rung zwi­schen Neu­städt und Wom­men (gleich ober­halb der A4). Unser Ziel war der Ful­dai­sche Berg (nord­west­lich) von Ger­s­tun­gen. Die Stre­cke ist etwa 17 Kilo­me­ter lang. Im nörd­li­chen Ger­s­t­un­ger Forst (nörd­lich des → Kohl­bach­tals) ist das Gelän­de größ­ten­teils unweg­sam. Der Forst hat dort teil­wei­se Urwald­cha­rak­ter. Im süd­li­chen Teil sind die Wege wohl durch die anlie­gen­den Gemein­den gut bewirt­schaf­tet, mit Wan­der­weg­wei­sern sowie -hüt­ten ver­se­hen und damit sehr gut für Wan­de­run­gen geeig­net. Mor­gens star­te­ten wir zum Bewäl­ti­gen der kom­plet­ten, his­to­ri­schen Grenz­stre­cke. Wir woll­ten uns mög­lichst größ­ten­teils über den gemein­sa­men Weg direkt auf der alten Grenz­li­nie und weni­ger auf dem alten → Kolon­nen­weg bewe­gen.

Ich dach­te mir, der Auf­stieg auf den Kirch­wald­s­kopf wird wohl das Schwie­rigs­te. Am Beginn des Weges - dem Ein­stieg zum Kirch­wald­s­kopf - ver­schlug es allen fast die Spra­che. Die Fotos zei­gen die Her­aus­for­de­rung. Der ehe­ma­li­ge Kolon­nen­weg mit rudi­men­tär noch vor­han­de­nen Fahr­plat­ten war kaum zu fin­den. Es war fast aben­teu­er­lich. Wir schlu­gen uns regel­recht durch die Büsche. Ich lief die Stre­cke nicht das 1. Mal - aber erst­ma­lig wie­der seit etwa 20 Jah­ren.  Vor Jahr­zehn­ten war ein brei­tes Band geprägt vom Kolon­nen­weg, Grenz­zaun bis zum gemein­sa­men Weg vor­han­den. Die Natur hat­te sich Alles, aber auch Alles zurück­ge­holt. Aus dem Grü­nen Band ist tat­säch­lich wie­der ein wirk­lich grü­nes Band gewor­den.

2020-05-31 Autor: Wolle Ing - www.wolle-ing.de
Grenz­weg Ger­s­t­un­ger Forst - Weg­wei­ser am Kirch­wald­s­kopf - Autor: Wol­le Ing - www.wolle-ing.de

So tas­te­ten wir uns am Pfingst­sonn­tag steil berg­auf durch ein anfäng­lich urwald-ähnliches Gelän­de mit star­ken Höhen­un­ter­schie­den. Die Herz­fre­quenz stieg an die vom Kar­dio­lo­gen erlaub­ten Gren­zen. Wir ori­en­tier­ten uns dabei an den fast voll­stän­dig zuge­wach­se­nen Res­ten der alten Kolon­nen­weg­plat­ten. Die etwa 30 Meter west­lich gele­ge­nen stark zuge­wach­se­nen Grenz­stei­ne sind am Auf­stieg kei­ne Hil­fe, weil hier noch kein Weg ent­lang der Stei­ne exis­tiert. Oben auf dem Kirch­wald­s­kopf gegen­über dem hes­si­schen Bil­stein ange­kom­men, fan­den wir auch gleich zum dort begin­nen­den gemein­sa­men Weg. Am Kirch­wald­s­kopf erkennt man sei­nen Stand­ort am ers­ten Wan­der­schild, das uns auf der Wan­de­rung begeg­ne­te. An die­ser Stel­le ein­fach 50 Meter rechts in die Wild­nis geschla­gen und man trifft unwei­ger­lich auf den gemein­sa­men Weg. Nun ging es immer schön den alten his­to­ri­schen, gemein­sa­men Grenz­weg zwi­schen Hes­sen und dem Groß­her­zog­tum Sachsen-Weimar-Eisenach ent­lang.

Auf dem gemein­sa­men Weg gestal­te­te sich unse­re Wan­de­rung weni­ger schwie­rig. Viel­leicht alle 20 Meter stie­ßen wir wie­der auf jeweils 2 Grenz­stei­ne - die stum­me Zeit­zeu­gen der Tei­lung -, die die Grenz­li­e­nie indi­rekt mar­kie­ren. Man soll­te sich hier immer nach den Stei­nen ori­en­tie­ren. Zur ers­te Wan­der­hüt­te gelang­ten wir am → Wart­burg­blick - sie war vom gemein­sa­men Weg aus etwa 10 Meter Rich­tung Süd­os­ten gut zu sehen. Der Ort ist geeig­net für eine Wan­der­pau­se. Rich­tung Osten hat man durch eine Wald­schnei­se einen aus­ge­zeich­ne­ten Blick in Rich­tung → Wart­burg. Nahe die­ser Stel­le ist im Ger­s­t­un­ger Forst eine Wege­spin­ne mit dem namen “Kir­che”. Unweit davon ist wie­der­um der → Schiffs­kopf sowie die mit 421 Metern höchs­te Erhe­bung des Ger­s­t­un­ger Forsts, der → Flötsch­kopf.

Unter­wegs kamen wir auch an einer alten Grab­stel­le vor­bei - dem → Erb­be­gräb­nis nahe dem hes­si­schen Forst­gut Ber­litz­gru­be. Im gro­ßen Forst­ge­biet an völ­lig ein­sa­mer Stel­le ent­deck­ten wir neben der Grab­stel­le eine rie­sen Rhododendron-Pflanze ca. 8 Meter Durch­mes­ser und 3 Meter hoch - fast unglaub­lich. Der Strauch wächst an die­sem von der Zivi­li­sa­ti­on unge­stör­ten Fleck am jahr­hun­der­te­al­ten Fami­li­en­grab.

2020-05-31 Autor: Wolle Ing - www.wolle-ing.de
Grenz­weg Ger­s­t­un­ger Forst - Gip­fel­kreuz am gemein­sa­men Weg am Armsberg - Autor: Wol­le Ing - www.wolle-ing.de

Nach dem Erb­be­gräb­nis gelang­ten wir zum → Gro­ßen Armsberg. Hier wur­den wir mit einem Gip­fel­kreuz und Gip­fel­buch über­rascht. Nahe die­ser Stel­le stie­ßen wir auch auf ein Zigeu­ner­grab. Es ist das Grab einer Zigeu­ne­rin, die einer alten Sage zufol­ge im Drei­ßig­jäh­ri­gen Krieg den kai­ser­li­chen Feld­her­ren → Gott­fried Hein­rich zu Pap­pen­heim vor einer Todes­ge­fahr bewahr­te. Geg­ner des Feld­her­ren räch­ten sich dar­auf­hin an der Frau. Sie wur­de hier beer­digt.

Erin­ne­run­gen auf dem Ful­dai­schen Berg

Etwa nach der Hälf­te der Wan­de­rung hör­te an einem Holz­la­ger­platz plötz­lich der gemein­sa­me Weg auf. Von da an geht es nach Halb­links sowie steil berg­ab in das Blan­ken­ba­cher Tal. Am bes­ten ist es, wenn man sich ab da erst­mal etwa 150 Meter genau gen Osten gera­de durch den Wald schlägt. Man trifft unwei­ger­lich auf den alten Kolon­nen­weg, den man dann Rich­tung Süden wie­der steil berg­ab bis in das Tal ver­folgt. Unten erwar­te­te uns die nächs­te Wan­der­hüt­te. Von hier aus gelangt man gut in das → Kohl­bach­tal (mit der Kohl­bach­hüt­te).

Wir aber wan­der­ten ab jetzt den sehr gut begeh­ba­ren Kolon­nen­weg wie­der berg­auf ent­lang der alten Gren­ze. Ober­halb des Tals nimmt der gemein­sa­me Weg sei­ne Fort­set­zung. Ab hier kann man sich den sehr beschau­li­chen Kolon­nen­weg ent­lang bewe­gen oder eben den gemein­sa­men Weg wie­der neh­men. Der Weg und die wie­der indi­rekt mar­kier­te Grenz­li­e­nie ver­lau­fen dann über den → Still­mes (wie­der mit Wan­der­hüt­te ver­se­hen). Unter­wegs gibt es noch einen Aus­blick in Rich­tung → Renn­steig zum Insel­s­berg. Die Wan­de­rung geht wei­ter bis zum Ful­dai­schen Berg (ober­halb Ger­s­tun­gen), wo uns die letz­te Wan­der­hüt­te erwar­te­te. Von hier aus wird man mit einem wun­der­ba­ren Pan­ora­ma­blick über Untersuhl und das Wer­ra­tal bis Höhe Ber­ka (an der Wer­ra) belohnt.

Landesgrenze bei Gerstungen - im Norden der Eingang zum Gerstunger Forst
Lan­des­gren­ze bei Ger­s­tun­gen - im Nor­den der Ein­gang zum Ger­s­t­un­ger Forst

Unten im Tal ver­läuft die Wei­he von Richels­dorf kom­mend nach → Untersuhl. Man blickt vom Ful­dai­schen Berg (dem ehe­ma­li­gen Pos­ten­punkt 801) über das Richels­dor­fer Tal (Pos­ten­punkt 803) in die wei­ter süd­lich gele­ge­ne Höhe 305 (Pos­ten­punkt 805). Im Tal stan­den vor der Grenz­öff­nung 7 mäch­ti­ge Pfei­ler für eine geplan­te Auto­bahn­brü­cke. Jetzt über­quert das Tal eine neue moder­ne Brü­cken­kon­struk­ti­on. Kurz hin­ter der Höhe 305 gibt es ein altes, nicht betrie­be­nes Was­ser­werk (Pos­ten­punkt 806). An die­sem Ort, wohl einer der weni­gen an der deut­schen Naht­li­nie, fan­den durch uralte Stol­len in den 80gern gehei­me Schleu­sun­gen über die Staats­gren­ze statt. Wäh­rend des 2. Welt­krie­ges muss­ten hier Zwangs­ar­bei­ter unter här­tes­ten Bedin­gun­gen Roh­stof­fe für Flug­zeug­tei­le her­stel­len. Vie­le star­ben.

1987 - Wolfgang Kiessling
Grenz­kar­te Ende 80ger - Staats­gren­ze zwi­schen Obersuhl und Untersuhl - Kar­ten­er­stel­ler: Wolf­gang Kiessling

Süd­lich unter­halb die­ser Höhe kreuz­te die in Rich­tung → Obersuhl (Wil­deck) über 40 Jah­re nicht befah­re­ne bzw. unter­bro­che­ne Auto­bahn A4 - am Pos­ten­punkt 807 (sie­he Grenz­kar­te). Quer über die Beton­bahn war damals ein durch­ge­hen­der wei­ßer Strich für den Grenz­ver­lauf. An die­sem Strich hielt Anfang 80ger jeden Tag immer zum Son­nen­auf­gang ein US-Panzer M60, spä­ter (ca. ab 1986) moder­ner → M1-Panzer, manch­mal auch eine → Pan­zer­hau­bit­ze M109 (zum Ver­schie­ßen von Kern­mu­ni­ti­on geeig­net). Es war täg­lich am Ran­de Ger­s­tun­gens (Orts­teil Untersuhl) ein Sze­na­rio wie zu Zei­ten här­tes­ter Kon­fron­ta­ti­on am Ber­li­ner → Check­point Char­lie. Das schwar­ze Besat­zungs­mit­glied des Pan­zers hat­te i.d.R. die Ehre, mit einem rie­sen Besen die Auto­bahn beson­ders sau­ber zu fegen, wenn die mili­tä­ri­sche Füh­rung zur Inspek­ti­on kam - Ras­sis­mus auch damals. Ihre Mit­tags­ver­sor­gung kam eben­falls mit einem Pan­zer. Mate­ri­al spiel­te kei­ne Rol­le - wie beim Russ’. Zum Son­nen­un­ter­gang fuh­ren sie zurück auf ihre 5 Kilo­me­ter ent­fern­te stän­di­ge B-Stelle bei Höne­bach. Ihre Ket­ten hall­ten weit über das Land.

1984 - US-Army auf Posten - Autobahn bei Untersuhl
1984, US-Armee auf Pos­ten - Auto­bahn­ab­fahrt Untersuhl (Quel­le: BGS)

Mei­ne Toch­ter Katha­ri­na kam in die­ser brenz­li­gen Zeit zur Welt.  Die deut­sche Tei­lung war eine his­to­ri­sche Fol­ge des Hit­ler­krie­ges. Im Ergeb­nis war die Gren­ze kei­ne inner­deut­sche, son­dern eine Naht­li­nie zwi­schen NATO und War­schau­er Pakt - eine der emp­find­lichs­ten Gren­zen der Welt. Es war eine Zeit, in der jeder­zei­tig ein beson­ne­nes Han­deln mei­ner Per­son und das mei­ner Kame­ra­den an der Naht­li­nie das Aller­wich­tigs­te war. Es galt täg­lich im wack­li­gen Frie­den zwi­schen den Sys­te­men einen Fun­ken zu ver­hin­dern, der am Ende die Welt erschüt­tert hät­te.  Das im Grenz­dienst für den Frie­den sicher­zu­stel­len, war mei­ne Her­aus­for­de­rung, die jeden Tag an mir nag­te.

Im Jahr 1984 - genau hier stand ich ihnen - den US-Soldaten vom OP Romeo - direkt an der Grenzlinie gegenüber - das Maschinengewehr auf mich gerichtet - Blick auf das alte Molybdänwerk auf DDR-Seite von der Autobahnabfahrt Untersuhl aus (Quelle: BGS)
Im Jahr 1984 - genau hier stand ich ihnen - den US-Soldaten vom OP Romeo - direkt an der Grenz­li­nie gegen­über - das Maschi­nen­ge­wehr gen Osten gerich­tet - Blick auf das alte Molyb­dän­werk auf DDR-Seite von der Auto­bahn­ab­fahrt Untersuhl aus (Quel­le: BGS)

Beim Vor­bei­lau­fen an der Auto­bahn boten die US-Kollegen mir - dem DDR-Armeeoffizier - manch­mal ihre Ehr­erbie­tung, in dem sie ihre Waf­fen auf mich rich­te­ten. Wenn es die Kano­ne war, fühl­te ich mich schon geehrt. Man war es gewohnt. Die Zei­ten waren so. Heu­te sind sie hof­fent­lich anders.

Ich erin­ne­re mich auf dem Ful­dai­schen Berg noch an die (oben abge­bil­de­te) ori­gi­na­le Grenz­kar­te der 80ger, die ich als ein in Topo­gra­phie Bewan­der­ter neben­bei zeich­nen durf­te. Alte Frag­men­te der Kar­te lan­de­ten spä­ter im Armee­mu­se­um in Dres­den. Es gäbe über die­se Zeit noch bücher­wei­se mehr zu berich­ten. Es gäbe auch zu berich­ten über son­der­ba­re Orte im Ger­s­t­un­ger Forst oder eini­ge seit 1990 (zufäl­lig?) ver­stor­be­ne Offi­ziers­ka­me­ra­den.

Nur wer fragt schon einen DDR-Grenzer und Offi­zier der vor­ders­ten Linie nach der wah­ren Geschich­te. Noch nicht ein­mal im 30. Jahr des deut­schen Zusam­men­schlus­ses sieht sich Jemand dazu ver­an­lasst. Die Geschich­te umschrei­ben Ande­re.

Mit die­sen Erin­ne­run­gen been­de­te ich mei­ne nicht letz­te Wan­de­rung durch eine wun­der­ba­re Land­schaft über den gemein­sa­men Weg, der hof­fent­lich ein gemein­sa­mer Weg des Frie­dens und der Hoff­nung bleibt.

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Luther

3 Gedanken zu „Grenz­weg Ger­s­t­un­ger Forst

  1. Dan­ke Wolf­gang, für Dei­nen Bericht! Ich habe in Berka/Werra und Dipp­ach einen gro­ßen Teil mei­ner Dienst­zeit ver­bracht und freue mich über Dei­nen Bericht und hof­fe, das ich auch noch mal die­se Wan­de­rung durch­füh­ren kann! Ich wer­de mir wie abge­spro­chen Dei­ne Doko in mei­nen Grenzer-Ordner spei­chern! Dan­ke für Dein Ein­ver­ständ­nis! Ein­mal Gren­zer immer Gren­zer!

  2. Hal­lo Wolf­gang, dan­ke für die aus­führ­li­che Beschrei­bung eurer Wan­de­rung auf alten Grenz­we­gen. Das ist eine groß­ar­ti­ge zeit­ge­schicht­li­che Doku­men­ta­ti­on. Das ist beson­ders für mich inter­es­sant, da ich als Sach­se 2 Dienst­jah­re in Eisen­ach bis 1972 ver­brach­te. Da mei­ne Frau aus Eisen­ach stammt, bin ich auch des­halb natür­lich mit die­ser schö­nen Regi­on ver­bun­den. Für euch alles gute und viel Gesund­heit.
    Roland Doe­r­ing

  3. Hal­lo Wolf­gang, das ist ja wie­der toll geschrie­ben. Wer hät­te das gedacht, dass wir in unse­rem rela­tiv kur­zen Dasein in der geschicht­li­chen Ent­wick­lung so viel mit erle­ben wer­den. Wir leben in einer wirk­lich schö­nen Land­schaft und soll­ten die Natur mit offe­nen Augen und Respekt betrach­ten. Dan­ke­schön, dass wir dich auf dei­nen Weg ein Stück­chen beglei­ten dür­fen.

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